Neu im Kiez oder Ah, Libanon

Wahrscheinlich haben unserer Räder nicht gequietscht. Gleichzeitig hatten wir das Schild entdeckt und bremsten wie auf ein Signal. ZU VERMIETEN. Verheißungsvoller Klang. Ein Laden wie ein Aquarium mit zwei riesigen Glasfronten. Dass wir an jenem Tag mit unseren Fahrrädern durch die Gegend fuhren und Ausschau nach leerstehenden Ladenflächen hielten, verdankten wir einer gemeinsamen Freundin. Auf einer Party hatte sie uns einige Wochen zuvor bekannt gemacht. Beide träumten wir von einer Buchhandlung für alle.

SCHAFFT PLATZ IN DEN REGALEN

Nicht einmal acht Monate später standen wir in unserem knapp 40 qm großen Glaskasten und verkauften das erste Buch. Sweet heart of the Rodeo spielten hinter Gittern. Zu unserer Eröffnung war die Hölle los, der halbe Kiez war da plus Freunde und Familie. „Macht Platz in den Regalen“ hatte ein Beamer in die abgeklebten Fenster projiziert, während wir mit der Hilfe von Freunden auf wenig Raum so viel Platz wie möglich zu schaffen versuchten. Wer bei der Miete sparen muss, darf beim Ladenausbau nicht knausern, war eine unserer ersten Erkenntnisse als angehende Inhaberinnen einer Buchhandlung. So ließen wir die gesamte Einrichtung, die Regale, einen Büchertisch mit integriertem Stauraum, eine Bank und den Tresen nach unseren Ideen anfertigen. Alles passte perfekt. Auch die Kasse, die wir von Elenis ehemaligen Chef geschenkt bekamen, und unser knapper Zeitplan.


„OH, EINE BUCHHANDLUNG. DAS IST JA MUTIG.“

Als wir das LeseGlück 2007 eröffneten, gehörte die Ohlauer Straße noch zum unsanierten Teil von Kreuzberg. Damals gab es mehr Leerstand und weniger Cafés und unsere kleine Buchhandlung wurde zum Lichtblick mancher Anwohner*innen. Wir wurden mit neugierigen, freudigen, überraschten und skeptischen Reaktionen aufgenommen. Zu uns kamen alle. Die Bewohner*innen des Hauses und die gesettelten Leute vom Paul-Linke Ufer, die Student*innen und jungen Familien, die Künstler*innen und Autor*innen und die Schnorrer*innen, die von Kleingeld über Zigaretten bis hin zu Geschenkpapier um alles baten. Es machte Spaß, die alte Kreuzberger Mischung kennenzulernen.

„AH, LIBANON.“

Eines Tages betrat eine ältere Frau den Laden und fragte Eleni, ob sie aus der Türkei komme. Eleni verneinte, die Frau verließ das LeseGlück, um wenig später wieder hereinzukommen. „Türki?“, fragte die Frau erneut. Daraufhin Eleni: „Nein. Griechenland.“ Und die Frau: „Ah, Libanon.“

„WAS MACHST DU SCHON AUßER BÜCHER VERKAUFEN.“

Mit wenig Kapital waren wir gestartet, aber an der Durchfahrt zum Supermarkt günstig platziert. Schon unser erstes Weihnachtsgeschäft wurde ein Erfolg. Unser Top-Bestseller im ersten Jahr: Zehn Wahrheiten von Miranda July. Das Credo der Anfangszeit: Tatendrang und Selbstausbeutung. Wir probierten viel aus. Filmabende mit literarischen Adaptionen, Lesungen, kulinarische Literaturabende. Wir freuten uns über jede neue Kundin und jeden neuen Kunden. Wir lernten ständig dazu. Wir brachten mit unseren Büchertischen das LeseGlück in Kneipen und Theater und waren irgendwann im Radio zu hören. In den nächsten Jahren würde unser Kinderbuchregal wachsen, würden aus den Kindern unserer Kund*innen Erwachsene, würden Freunde von uns das Wowsville schräg gegenüber eröffnen und würde unser Laden zu klein werden. Nach unserem ersten Jahr ahnten wir davon jedoch noch nichts. 




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